Obwohl man im Alltag kaum von ihm hört, ist der Nervus vagus
oder kurz Vagus ein echter Riese im menschlichen Organismus – und an
zahlreichen wichtigen Funktionen und Abläufen beteiligt: Der zehnte Hirnnerv
stellt einen Großteil des Parasympathikus und somit des vegetativen
Nervensystems. Er steuert und beeinflusst nahezu alle inneren Organe, außerdem übernimmt
er motorische Funktionen für Kehlkopf, Rachen und die obere Speiseröhre, ist
für Geschmacksempfindungen der Zunge und vieles weitere verantwortlich.
Reflextod: Theorien rund um den Vagus-Nerv
Auf Grund seiner mächtigen Bedeutung für das menschliche
Nervensystem gibt der Vagus-Nerv immer wieder Anlass zu Spekulationen und
Überlegungen, nicht zuletzt in Zusammenhang mit sogenannten psychischen
Todesursachen. So behaupten verschiedene Mediziner, dass ein Mensch allein auf
Grund seiner Vorstellungskraft sterben könne. Der Vagus-Nerv soll hier als
bedeutender Teil des regulierenden Nervensystems die entscheidende Brücke
zwischen Psyche und Physis darstellen. Als bekanntes Beispiel werden hier unter
anderem Voodoo-Rituale angeführt. Andere Experten bewerten diese Theorie als
populärwissenschaftlich und nicht mit seriösen Methoden belegbar. Dem entgegnen
wiederum Befürworter dieser These, dass aktuelle Untersuchungsmethoden zum
Beispiel in der Pathologie aktuell gar nicht darauf ausgerichtet seien, andere
Zusammenhänge als unmittelbar in Substraten messbare zu erkennen.
Noch deutlich verbreiteter, aber deshalb ebenso wenig
unumstritten ist die Theorie vom sogenannten Vagusreflextod. Seit Beginn des
20. Jahrhunderts weiß man, dass ein im Rachen feststeckender Speisebrocken
Druck auf das Kehlkopf-Nervengeflecht ausübt. Entsprechend galt lange die
These, dass ein Bolustod, also der Tod durch Ersticken, in Wahrheit nicht durch
tatsächliche Luftnot, sondern durch übermäßige Reizung des Vagus-Nervs
hervorgerufen werde. Dem widersprechen andere Wissenschaftler.
Trotzdem gibt es Todesursachen, die eindeutig mit dem
Vagus-Nerv in Zusammenhang stehen. Der sogenannte Reflextod bezeichnet einen
Kreislaufstillstand, der durch eine überstarke Stimulation des Nervs
hervorgerufen wird. Diese muss nicht direkt stattfinden, sondern kann
reflektorisch, also rückwirkend über die zahlreichen mit dem Nerv verbundenen
Organe und Gewebe erfolgen. Im Englischen spricht man deutlich genauer vom reflexogenic
cardiac arrest.
Bedeutung des Vagus in der medizinischen Therapie
Sicher ist: Durch seinen großen Anteil am vegetativen
Nervensystem steht der Vagus-Nerv mit zahlreichen Organen und somit auch mit
dessen potentieller (Fehl-) Funktion in Zusammenhang. Es gibt verschiedene
Krankheitsbilder, die direkt oder indirekt mit dem Vagus-Nerv zu tun haben –
beispielsweise eine Neuralgie des Kehlkopfs, bei dem es zu dauerhaften
Schmerzen und Schluckbeschwerden kommt.
Dementsprechend gibt es verschiedene Therapie-Ansätze, die
über den Vagus wirken sollen: Die Vagotomie beispielsweise bezeichnet eine
Durchtrennung des Nervs im Bereich des Magens, die zur Behandlung von Magen-
und Zwölffingerdarmgeschwüren zum Einsatz kommen kann. Hierdurch soll eine
übermäßige Produktion von Magensäure unterbrochen werden. Da es inzwischen gut
wirksame, medikamentöse Alternativen gibt, wird dieser Eingriff seltener
durchgeführt.
Umgekehrt kann auch eine Über- oder Unterfunktion des
Vagusnervs vorliegen, die sich angesichts seiner vielfältigen Wirkung im
Organismus entsprechend vielfältig auswirken kann. Die Vagusnervstimulation
(VNS) macht sich diesen Effekt zu Nutze: Hier wird eine Art
„Nerven-Schrittmacher“ unter die Haut implementiert, der in regelmäßigem
Abstand elektrische Impulse aussendet, die den Vagus-Nerv stimulieren sollen.
Auf diese Weise können Formen der Epilepsie sowie außerdem starke Depressionen
behandelt werden.